· 

Das Zeitalter der Resilienz

FOKUS: NEUE wirtschaftsordnung // Beitrag von miriam huwiler

Jeremy Rifkin vergleicht in seinem neuen Buch "Das Zeitalter des Resilienz - Leben neu denken auf einer wilden Erde" die Ökonomie im Zeitalter des Fortschritts mit der neuen Ökonomie im angebrochenen Zeitalter der Resilienz. Seine Ausführungen bestärken mich in meinem Verdacht: Die Effizienz der Wirtschaft hat ihren Grenznutzen erreicht. Das Paradigma der Effizienz, also die Ausrichtung sämtlicher unternehmerischen Handlungen auf Optimierung von Input und Output, hat zu unserer globalisierten Wirtschaftsstruktur geführt. Man könnte also auch sagen, die Globalisierung hat ihren Zenit überschritten. Um Grenznutzen zu verstehen, stell dir vor: Du machst mit Kollegen eine Burger-Challenge. Derjenige, der am meisten Burger essen kann, hat gewonnen. Du stopfst einen Burger nach dem anderen in dich hinein. Die ersten stillen deinen Hunger, für weitere musst du dich überwinden und irgendwann wird dir schlecht. Am Ende musst du dich übergeben. Die Weltwirtschaft gurgelt und würgt.

Das Zeitalter des Fortschritts mit seinen industriellen Revolutionen wird abgelöst vom Zeitalter der Resilienz. Resilienz bedeutet Widerstandskraft. Unternehmen haben im Sinne der Effizienz ihre Produktion in Niedriglohnländer ausgelagert, was globale Lieferketten geschaffen hat. Diese ökonomische Seite der Globalisierung war lange Zeit eine Stärke erfolgreicher Volkswirtschaften. Gemessen am Bruttoinlandprodukt sind sowohl die Volkswirtschaften stark gewachsen, die die Produktion ausgelagert haben und selbst zu Dienstleistungsländern geworden sind, wie auch die produzierenden Volkswirtschaften. Komparative Kostenvorteile führten zu Wohlstandsgewinnen auf beiden Seiten. Doch nun kehrt sich das Blatt: Die Unternehmen erkennen, dass wirtschaftliche Optimierungen zulasten von Widerstandsfähigkeit gehen. Bewusst geworden ist uns das spätestens seit der Corona-Pandemie. Plötzlich waren Schutzmasken und anderes medizinisches Material knapp und keine Produktion im eigenen Land angedacht. 

 

"Die Neuausrichtung beeinflusst schon jetzt unsere althergebrachten Vorstellungen davon, wie wir unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben zu führen, zu messen und zu bewerten haben. Der Übergang von der Effizienz zur Anpassungsfähigkeit geht mit umfassenden Umwälzungen in Wirtschaft und Gesellschaft einher." (Rifkin, S. 12). Es folgt eine Gegenüberstellung verschiedener Merkmale des Zeitalters des Fortschritts und des neuen Zeitalters der Resilienz, die ich hier darstellen möchte:

  Zeitalter des Fortschritts Zeitalter der Resilienz
Paradigma Effizienz Anpassungsfähigkeit
Messgrösse Produktivität Erneuerbarkeit 
Ziel Wohlstand (Wirtschaftswachstum) Wohlfahrt
Kennzahl Bruttoinlandprodukt Indikatoren der Lebensqualität
Wertschöpfung zentralisierte Wertschöpfungsketten dezentrale Wertschöpfungsketten
Vernetzung Globalisierung Glokalisierung
Aussenpolitik Geopolitik Biosphärenpolitik
Treffpunkte Märkte mit Käufern und Verkäufern Netzwerke mit Anbietern und Nutzern
Marktversagen negative externe Effekte Kreislaufwirtschaft (als Lösung)
Rechtliche Prinzipien Eigentum Zugang
  Geistiges Eigentum Open Source
Unternehmensform Unternehmenskonglomerate (Konzerne) agile, hoch technisierte kleine und mittelgrosse Genossenschaften
Prozessverständnis lineare Prozesse kybernetische Prozesse
Integration vertikale Integration laterale Integration

Tabelle: Inhalt: Jeremy Rifkin (2022), Das Zeitalter der Resilienz, S. 12; Darstellungen, Zuordnungen (linke Spalte) und Verlinkungen von Miriam Huwiler.

 

Die britische Ökonomin Kate Raworth stellt in ihrem Werk "Die Donut-Ökonomie - Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört" (deutsche Erstausgabe 2018, englische Ausgabe 2017) die Wirtschaftslehre des 20. Jahrhunderts der Wirtschaftslehre des 21. Jahrhunderts gegenüber. Dabei unterzieht sie die ökonomischen Modelle des 20. Jahrhunderts einer kritischen Überprüfung und stellt fest:

 

1. Der rationale "homo oeconomicus" ist überholt. Er wird abgelöst vom Bild des sozial anpassungsfähigen Menschen. 

2. Die einseitige Fixierung auf das Bruttoinlandprodukt muss einer ganzheitlichen Sichtweise und Zieldefinition weichen. 

Modell der Donut-Ökonomie, Kate Raworth
Modell der Donut-Ökonomie, Kate Raworth

Der Donut steht in Einklang mit den Sustainable Development Goals der UNO (2015). Als UNO-Mitglied arbeitet auch die Schweiz an der Agenda 2030 zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele mit. 

 

3. Die Darstellung eigenständiger Märkte weicht dem Bild einer eingebetteten Ökonomie: 

Eingebettete Ökonomie, Kate Raworth
Eingebettete Ökonomie, Kate Raworth

4. Die Wirtschaftswissenschaften kommen weg vom mechanischen Gleichgewicht und hin zur dynamischen Komplexität.

 

5. Volkswirtschaften richten sich von vornherein regenerativ aus und streben Verteilungsgerechtigkeit an.

Schmetterlingswirtschaft, Kate Raworth
Schmetterlingswirtschaft, Kate Raworth

 

Das grösste Problem der westlichen Industrieländer ist, dass wir über die planetaren Grenzen hinweg produzieren und konsumieren. Der Wohlstand oder auch unser Lebensstandard ist in den letzten 50 Jahren massiv gestiegen, nicht aber unsere Lebensqualität (Wohlfahrt). 

Was für meine Grosseltern noch Luxus war, ist heute normal. Wir können das in unserem Alltag prima selbst beobachten: Die Häuser aus den 1980er Jahren hatten standardmässig ein Badezimmer. Bereits in den 90er-Jahren wurden dann immer mehr Wohnungen gebaut, die über ein Badezimmer und ein Gäste-WC verfügten. Ab den 2000er-Jahren wurden 4,5-Zimmer-Wohnungen bereits mehrheitlich mit zwei Badezimmern ausgestattet und seit 5 bis 10 Jahren scheint es Standard zu sein, dass die Badezimmer sowohl über Dusche und Badewanne wie auch einen eigenen Waschturm verfügen. Mein Grossvater kaufte Ende der 1960er-Jahren den ersten Farbfernseher in seiner Wohnstrasse. Heute haben Haushalte gerne auch mehrere Fernseher mit tausenden von Programmen. Wir müssen uns heute fragen: Ist das nötig? Machen uns mehr technische Geräte glücklicher?

 

Trotzdem: Wirtschaftswachstum ist auch ein Ziel der Sustainable Development Goals, was zuerst ein Widerspruch zu sein scheint. Es ist aber alles eine Frage der Balance und am Ende des Grenznutzens: Ab wann ist mein Überleben, meine Gesundheit gesichert, so dass ich ein anständiges Leben ohne Armut und Krankheit führen kann? Entwicklungsländer stecken in diesem Prozess, für sie ist Wirtschaftswachstum wichtig. Die Wachstumskritik ist entsprechend auch ein Phänomen der reichen Industrieländer. Die Frage für uns ist: Wie weit sind wir alle bereit uns einzuschränken und nicht alle zwei Jahre das neueste Smartphone zu besitzen, alle sechs Wochen den Kleiderschrank auszuwechseln und nicht alles, was wir nach kurzer Zeit nicht mehr brauchen, einfach gedankenlos wegzuwerfen?

 

Die Vision von Rifkin wird nur real, wenn wir Konsumentinnen und Konsumenten umdenken. Unternehmungen könnten mit gutem Beispiel vorangehen und die Preise real gestalten, also die Umweltbelastungen in die Preise einrechnen. Aber wer fängt an? Da die Märkte nach dem Angebots- und Nachfrage-Prinzip funktionieren, würden die Kunden und Kundinnen einfach zur günstigeren Konkurrenz wechseln. Dann bleibt noch der Staat: Er kann Steuern festlegen (z.B. CO2-Steuer), damit die negativen externen Effekte eingepreist (internalisiert) werden. 

 

Weiter stellt sich die Frage, ob wir alle immer mehr arbeiten wollen, um uns immer mehr Güter und Dienstleistungen leisten zu können, die wir gar nicht richtig nutzen können, weil wir dafür keine Zeit haben, weil wir ja immer mehr arbeiten... 

Eine Idee, um glücklicher zu werden, könnte sein, weniger zu arbeiten. Mit der möglichen Einführung einer 4-Tage-Woche beschäftigte sich eine IDPA-Gruppe HIER

 

Am Ende haben wir alle es in der Hand. Wo ist für dich der Grenznutzen erreicht?

 

Weiterführend zum Thema Wirtschaftswachstum:

Vortrag von Prof. Aymo Brunetti (Uni Bern) zu Wirtschaftswachstum

Iconomix-Fachtext zu Wirtschaftswachstum

ARTE-Dok zu Wirtschaftswachstum

Kommentar schreiben

Kommentare: 0